Eintagsfliege und Prachtlibelle: An der Oker (wieder) zuhause

Biodiversität an Braunschweigs Gewässern nimmt zu

Braunschweig, 21. September 2022. Umwelt schützen, Natur erhalten: Heute ist das eine klare gesellschaftliche Aufgabe. Unser Wasser verdient dabei besondere Beachtung – und die, die sich in Braunschweig darum kümmern, berücksichtigen schon seit vielen Jahrzehnten auch ökologische Faktoren. Mit Erfolg: Oker, Wabe, Schunter und Co sind wieder „gut in Form“. Die natürliche Selbstreinigungskraft der Gewässer ist gestärkt, die Biodiversität nachweisbar gestiegen. Beispielsweise sind viele Wasserinsektenarten zurückgekehrt und siedeln in naturnahen Lebensräumen. Das kann man selbst beobachten: Wer mit scharfem Blick unterwegs ist, kann auf einer Okertour im Sommer Schwärme von blauen Prachtlibellen beobachten, im Frühjahr Dänische Eintagsfliegen aus dem Wasser aufsteigen sehen und schon im kalten Februar Larvenhäute einer besonderen Steinfliege finden. Ein langer Weg, der sich gelohnt hat.

Natur mitten in der Stadt: Die Fließgewässer in Braunschweig werden immer mehr zu ökologisch wertvollen Biotopen. Großen Anteil daran hat der Gewässerdienst der Stadtentwässerung Braunschweig GmbH (SE|BS), der in Kooperation mit der Stadt Braunschweig das ökologische Ziel verfolgt Bäche und Flüsse – und auch Regenrückhaltebecken – als Biotope nachhaltig zu entwickeln. Dafür wurden an vielen Gewässerabschnitten wieder naturnahe Strukturen geschaffen. Ein Effekt: Die Biodiversität nimmt zu. Libellenarten wie die Grüne Flussjungfer oder die blaue Gebänderte Prachtlibelle gehören zum Bild an Oker, Schunter und Mittelriede. Eine bis vor kurzem in Deutschland sehr seltene Steinfliegenart erobert derzeit die Oker in und um Braunschweig und selbst in der naturfernen Schölke kommen Eintags- und Köcherfliegen vor.

Noch im vergangenen Jahrhundert verschwanden unsere Fließgewässer unter die Erde oder wurden in neue – unnatürliche – Läufe gelegt und intensiv unterhalten. Oft gehörte es dazu, regelmäßig in die natürlichen Strukturen einzugreifen, also zum Beispiel Wasser- und Uferpflanzen zu entfernen. Mittlerweile ist klar, dass sich dies nachteilig auf das Ökosystem auswirkte. Heute geht es darum, den Arten, die hier einst heimisch waren, ihren Lebensraum wieder zurückzugeben. Daran beteiligt sind eine Reihe an Experten von Behörden und Naturschutzverbänden.

TU: Wissenschaft sorgt für Wirksamkeit

Um Auswirkungen des Gewässermanagements nachverfolgen zu können, gehört die kontinuierliche Überwachung der Gewässergüte dazu. Dafür betreibt die SE|BS Probestellen im Stadtgebiet, an denen zusammen mit der TU Braunschweig die biologische Gewässergüte und Strukturbeschaffenheit untersucht wird. Aus diesem „Gewässergütemonitoring“ gewinnen die Wasser-Profis wertvolle Erkenntnisse, mit denen die langfristige Entwicklung der Gewässer sowie Auswirkungen einzelner Gewässerschutz-Projekte wissenschaftlich untersucht werden. „Wir haben mittlerweile Daten aus mehr als zehn Jahren ausgewertet“, berichtet Dr. Diana Goertzen von der TU, „und für diesen Zeitraum konnten wir feststellen, dass die Biodiversität deutlich zunimmt – ein klarer Gewinn für Braunschweigs Gewässer“. Die Wissenschaftlerin arbeitet am Institut für Geoökologie in der Abteilung Landschaftsökologie und Umweltsystemanalyse und bewertet die Projekte inhaltlich. „Eine Erkenntnis ist, dass sich insbesondere die Flüsse und Bäche ökologisch gut entwickeln, in denen das Wasser gut fließt, also genug Sauerstoff vorhanden ist und sich naturnahe Strukturen entwickeln können.“

Auch beim Bundesumweltministerium steht biologische Vielfalt in der Stadt spätestens seit der „Naturschutz-Offensive 2020“ weit oben. Urbane Gewässer spielen dabei eine wichtige Rolle. Diese stehen auch bei der TU-Wissenschaftlerin im Fokus, die Einflüsse des urbanen Umfelds auf die aquatische Biodiversität – also der Artenvielfalt im Wasser – untersucht. Das Ziel ist ein ökologisch effektives Konzept, das nachhaltig den Erhalt der lokalen Artenvielfalt sowie die Ökosystemleistungen urbaner Gewässer fördert. Goertzen: „Wir untersuchen zum Beispiel, wie sich verschiedene Unterhaltungsmaßnahmen auf die Biodiversität auswirken. Wenn wir die Zusammenhänge zwischen den Einflüssen von Mensch und Stadt und der Artenvielfalt verstehen, können wir nachhaltige Empfehlungen für die Pflege der Gewässer geben.“ Längst ist klar: Die ökologisch ausgerichtete Unterhaltung von Gewässern fördert die Biodiversität und Selbstreinigungskraft. „Durch langjährige Analysen steht uns eine fundierte Datenbasis zur Verfügung“, erklärt Goertzen.

Ihre Analyse berücksichtigt viele Faktoren, unter anderem die unterschiedliche Art und Intensität der Unterhaltung (zum Beispiel Mahd, Eingriff in die Sohle) sowie die strukturelle Beschaffenheit der Gewässer (wie die Ausprägung des Gewässerlaufs und seiner Ufer) und der Artvorkommen. Daher basieren die Empfehlungen auf validen Daten über langjährige Veränderungen der Gewässer und ihrer Biodiversität. Der Schwerpunkt der Analyse lag auf sogenannten Wirbellosen (Insekten, Schnecken, Egel etc.). „Die Biodiversitäts-Projekte sind Zukunfts-Projekte: Sie verbessern die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme und liefern fundierte Erkenntnisse, wie wir unsere Umwelt schützen und bewahren können. Diesen Weg werden wir fortsetzen“, resümiert SE|BS-Chef Andreas Hartmann, „der Gewinn für die Natur ist nötig, um die Belastungen aus Siedlungen auszugleichen“. Das ist umso wichtiger, denn die nächsten Herausforderungen sind bereits aktuell erkennbar: Der Klimawandel verändert auch die Lebensverhältnisse rund um die Gewässer. In den trockenen Jahren 2018 bis 2020 führte der Wassermangel bereits dazu, dass der positive Trend nicht im selben Maße fortging – und 2022 ist wieder ein sehr trockenes Jahr. Viele Arten können sich in austrocknenden Gewässern nicht mehr entwickeln – hier besteht Forschungs- und Handlungsbedarf für die nähere Zukunft.

Biodiversität als Bildungsauftrag

Eine Herzensangelegenheit ist es den Beteiligten, auch aktiv über die Bedeutung von Wasser aufzuklären. Dafür haben sie verschiedene Angebote für Kinder und Jugendliche entwickelt (siehe “se-bs.de”). Dr. Goertzen bietet regelmäßig Exkursionen und Kurse für Studierende an und zeigt vor Ort, wie man Gewässeruntersuchungen durchführt und Wassertiere erkennen kann – auch wenn dafür einmal in Wat-Hose ins Wasser gegangen werden muss.

 


 

„Wenn wir naturnahe Strukturen wie Wasserpflanzen und Totholz im Gewässer fördern, steigt die Artenvielfalt“, sagt Dr. Diana Goertzen von der TU Braunschweig. Sie beobachtet die heimischen Gewässer und steigt dazu auch schon mal etwas tiefer in die Gewässer. Die wissenschaftliche Auswertung erfolgt dann wieder am Schreibtisch.

 

An den Braunschweiger Gewässern sind zunehmend mehr Arten von Insekten und anderen Wirbellosen zu finden. Wie die Artenvielfalt erkannt wird, zeigt Diana Goertzen auch immer wieder in Exkursionen, hier mit Studierenden der Fachrichtung Siedlungswasserwirtschaft der TU BS.

Fotos: SE|BS / Sierigk

 

Die Grüne Flussjungfer fühlt sich an naturnahen Fließgewässern wohl – in Braunschweig kommt sie in Oker, Schunter und Wabe/Mittelriede in großer Zahl vor – und zeigt damit einen guten Zustand der Gewässer an.

 

Die Gebänderte Prachtlibelle – in den 80er Jahren durch intensiven Gewässerausbau und -unterhaltung fast verschwunden – kommt heute an vielen Braunschweiger Fließgewässern vor und ist an ihrer metallisch-blauen Färbung gut zu erkennen.

 

Die Gemeine Keiljungfer ist eine typische Fluss-Libelle, die, in den 90er Jahren noch sehr selten, an vielen Abschnitten von Oker, Schunter und Mittelriede vorkommt.

 

Die Helm-Azurjungfer, eine sehr seltene Libellenart, hat sich in den letzten Jahren großräumig an Wabe und Reitlingsgraben in Rautheim angesiedelt – ein Erfolg der Renaturierungsmaßnahme.

Fotos (4): Diana Goertzen

 


 

Hintergrund: Regenwassermanagement

Der Umweltschutz für unsere Fließgewässer beginnt beim Regen: Auf seinem Weg im Wasserkreislauf fließt er zum Beispiel an Fassaden und über Straßen in die Kanalisation und nimmt dabei auch Biozide und Reifenabrieb mit. Ohne weitere Maßnahmen kämen die Schadstoffe auch in das Gewässer. Zu den Aufgaben der SE|BS gehört daher, die Wasserqualität zu erhalten – mindestens entsprechend der strengen gesetzlichen Grenzwerte. Dazu betreibt die SE|BS sogenannte „Einleitstellen“.
Wichtig: Abwasser aus Bad und Küche nimmt einen anderen Weg und wird aufwändiger aufbereitet. Deswegen ist es auch verboten, schon Putzeimer einfach in die Gosse zu kippen: Für solche Belastungen sind die Filterstufen für Regenwasser nicht ausgelegt. Diese Abwässer sind über die Hausanschlüsse zu entsorgen. Doch auch diese sollten nie als „Müllschlucker“ missbraucht werden: Durch Zellstoffe (Binden, Tampons, Kosmetiktücher etc.) drohen Verstopfungen, gefährliche Flüssigkeiten (Lacke, Farben, Altöl etc.) sind auch in der besten Abwasseraufbereitung nicht sachgerecht zu entfernen.
Mehr Infos zum bewussten Umgang mit Wasser stehen auf der Website der SE|BS: www.se-bs.de.

 


 

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Jan Birkenfeld

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